Von Rio Grande do Sul nach Aeugst

Fabio Neske aus Brasilien absolviert zurzeit ein Austauschprogramm als Praktikant auf einem Bauernhof

Fabio Neske kümmert sich um die ungefähr 70 Mutterschafe mit Jungen auf dem Setzihof in Aeugst. (Bild Sandra Isabél Claus)

Der Setzihof der Familie Weiss liegt idyllisch und abgeschieden auf einer Waldlichtung zwischen Aeugst und dem Türlersee. Da, wo Fuchs und Hase sich Gute-Nacht sagen, ist seit Ende Mai 2023 auch Fabio Neske, 28 Jahre alt, wohnhaft.

Er wuchs zusammen mit zwei Brüdern auf dem Bauernhof seines Vaters in Rio Grande do Sul in Brasilien auf. Der Bundesstaat im Süden des riesigen Landes erstreckt sich über knapp 300000 km2 und zählt ungefähr 11,5 Millionen Einwohner, grenzt an Uruguay und Argentinien. Im Frühling 2023 landete Fabio als Landwirtschaftspraktikant im Rahmen eines Austauschprogramms, organisiert durch Agrimpuls, nach einer knapp 20-stündigen Reise im beschaulichen Aeugst. Agrimpuls ist eine Dienstleistung des Schweizer Bauernverbandes. In Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen in den jeweiligen Ländern werden jährlich zwischen 100 und 130 ausländische Praktikanten in die Schweiz sowie zirka 80 inländische Praktikanten ins Ausland vermittelt.

Viel Futter, wenig auf Vorrat

In Brasilien gehört der Hof der Familie Neske mit 22 Hektaren und 100 Milchkühen zu den mittelgrossen Betrieben. Die ganz grossen Rinderfarmen befinden sich weiter im Norden. Der Bundesstaat Rio Grande do Sul ist führend in der Milchproduktion. Für einen Liter Milch bekommt der Bauer 2 Real, ungefähr 35 Rappen. Der Verkaufspreis liegt bei zirka 5.20 Real, also etwa 90 Rappen. Ergänzend zum Milchbetrieb baut Fabios Familie überwiegend Mais und wenig Weizen an. Der Kontrast zum Ackerbau vom Aeugster Setzihof ist auffällig: Hier wird eine sehr vielseitige Fruchtfolge mit sieben verschiedenen Kulturen angebaut.

Auch die Bewirtschaftung von zwei Hektaren Wald ist Bestandteil des Familienbetriebes von Fabio. Denn in Brasilien gilt die Vorschrift, dass jeder Betrieb über Wald verfügt, und zwar mindestens zwei Prozent der landwirtschaft­lichen Nutzfläche. Ansonsten besteht Aufforstungspflicht. Früher bauten sie auch Soja an, doch wegen anhaltender Wetterkapriolen stoppten sie dies. Anders als in der Schweiz werden die Felder zweimal pro Jahr bestellt und geerntet. So war es für Fabio ein überaus ungewohntes Bild, als im Herbst die Felder hier vollständig umgepflügt wurden. Auf die Fruchtfolge wird in seinem Heimatland weniger geachtet. Meist wird einmal abgewechselt, also wird beispielsweise nach der Maisernte, Weizen angebaut und dann erneut Mais, welcher siliert und verfüttert wird. Das ­bedeutet auch, dass sie durchgehend Futter für die Tiere produzieren, wenig auf Vorrat.

Fabios eigener Speiseplan sieht derzeit abwechslungsreicher aus als zu Hause. «In Brasilien essen wir jeden, wirklich jeden Tag Fleisch. Dazu gibt es meist Bohnen, (Süss-)Kartoffeln und Maniok. Mir gefällt die Vielfalt der Speisen hier.» Am liebsten isst er Pizza. Diese schmecke viel besser als zu Hause. Seine brasilianische Leibspeise ist Churrasco (Fleischgrilladen) und Galinhada, ein Eintopf aus Hühnchen und Reis. Er schätzt es, neben der für ihn exotischen Küche auch andere Gepflogenheiten, eine ungewohnte Umgebung, Mentalität und Sprache kennenzulernen. Er spricht gut Deutsch. Mit dem Schweizerdeutsch hat er verständlicherweise nach wie vor Mühe. Was hat ihn denn bis jetzt am meisten überrascht? «Dass sich Fremde hier grüssen. Regelmässig, wenn ich draussen an der Arbeit bin und ein ­Spaziergänger vorbeikommt, werde ich gegrüsst. Das gefällt mir.» Ein unvergessliches Erlebnis war sicherlich seine erste Bekanntschaft mit dem Schnee im letzten November. Wie aus dem Märchen und gar nicht so kalt wie vorgestellt. Die vier Jahreszeiten faszinieren ihn. Der Laubfall im Herbst war ihm gänzlich unbekannt. Saisonal nackte Bäume gibt es nicht in Brasilien. Spazieren über einen raschelnden Waldboden ebenso wenig. Worüber Fabio sich ebenfalls wundert, sind die gut ausgebauten, beinah durchgehend asphaltierten Strassen und Wege. In seinem Heimatort sind nur die Hauptstrassen versiegelt, alle übrigen sind Naturstrassen. Auch das dichte, gut ausgebaute öffentliche Verkehrsnetz rühmt er. In ­Brasilien verkehren einzelne öffentliche Busse, kaum Züge.

Mit dem Flugzeug reiste er im Januar dieses Jahres nach Italien. Das Land seiner Träume. Bereits als Kind wollte er unbedingt die ewige Stadt Rom sehen. Mit Pantheon, Kolosseum und dem ­Vatikan. Florenz und Venedig waren weitere Destinationen auf seiner Entdeckungsreise ins Nachbarland.

Praktikant mit Familienanschluss

Fabios Alltag wird von der Arbeit auf dem Setzihof geprägt. Er hilft bei der Versorgung der 70 Mutterschafe mit Jungen, 40 Mutterkühen mit Kälbern, ein Angus-Stier und 40 Legehennen. Weiter unterstützt er bei Waldarbeiten, beim Spalten der Holzscheite, Reparieren der Zäune und allem, was gerade anfällt auf dem Setzihof, welcher mehr als doppelt so gross ist wie Fabios elterlicher Hof im südamerikanischen Land.

Für Kathrin Weiss und Heinz Ziegler, Inhaber des Hofes, erweist sich die Anstellung eines Praktikanten als eine optimale Lösung, da das immense ­Arbeitspensum ohne externe Unter­stützung nicht zu bewältigen ist und Schweizer Arbeitskräfte für die Landwirtschaft schwierig zu finden sind. Bereits vor mehr als 20 Jahren begannen die mittlerweile pensionierten Eltern von Kathrin, Willy und Alice Weiss, Praktikanten aus den Ländern Polen, der damaligen Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Ukraine anzustellen. Für die Betriebsleiterfamilie war es früher sowie heute stets bereichernd, auf diesem Weg allerlei über andere Länder und Sitten zu erfahren.

Eine Herausforderung besteht mitunter darin, dass die Praktikanten einen überaus nahen Familienanschluss, zum Beispiel täglich am Esstisch, geniessen. Umso wichtiger ist es, dass der Praktikant gut in die Familie passt. «Bei Fabio hatten wir grosses Glück», meint ­Kathrin Weiss.

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