«Wenn alle flüchten, hat Putin gewonnen»
Die Hilfsaktionen für die Ukraine sind angelaufen. Aus Mettmenstetten, Affoltern und Knonau sind Transporte ins Krisengebiet gebracht worden, um die Menschen mit dem Notwendigsten zu versorgen.
Am Dienstag vor einer Woche hat der ehemalige Freestyle-Skifahrer und Betreiber der Jumpin-Anlage in Mettmenstetten, Andreas Isoz, seine Hilfsaktion gestartet. Zusammengekommen ist eine riesige Menge an Hilfsgütern, welche die Bevölkerung im Säuliamt gespendet hat. An Geld kamen rund 200000 Franken zusammen. Mit einem Teil dieser Summe hat Isoz in Holland eine Vielzahl medizinischer Güter eingekauft, darunter auch hundert Tragbahren. Am Samstag fuhr Isoz mit fünf Lieferwagen, welche von insgesamt sieben Fahrern gefahren wurden, los. «Rund sieben Tonnen Material haben wir geladen, zu 90 Prozent medizinische Güter, dazu Kleider, Esswaren, Windeln. Eine Ladung im Gesamtwert von rund einer halben Million Franken», so der 38-jährige Mettmenstetter.
Über Österreich gings nach Budapest, wo die sieben Männer übernachteten, um am Sonntag über die ungarisch-ukrainische Grenze noch rund 20 Kilometer weiter bis Mukatschewe zu fahren. Dort luden sie die fünf Wagenladungen in einem Verteilzentrum aus mithilfe der Freunde aus der ukrainischen Freestyle-Nationalmannschaft, die seit Jahren jeweils im Sommer in Mettmenstetten trainieren. Tags darauf fuhren sie nochmals nach Budapest, nachdem sie sich bei ihren Freunden erkundigt hatten, was weiterhin am meisten benötigt werde. So kauften sie Schlafsäcke, Thermowäsche, Grundnahrungsmittel. «Und Power Banks», sagt Isoz. «Diese sind für die Ukrainerinnen und Ukrainer extrem wichtig, damit sie sich über Handys Informationen beschaffen können.»
Sehen, was in der Ukraine passiert
«Einzelne Menschen hatten Tränen in den Augen, als wir kamen», so Isoz. Eigentlich hatte er im Sinn, auf dem Rückweg einige Flüchtlinge in die Schweiz zu holen. Dies kam aber nicht zustande. Immer wieder hörten sie von den Leuten, dass sie eigentlich nicht aus ihrem Land flüchten möchten. «Wenn alle weggehen, hat Putin gewonnen», sagten sie uns. Der allgemeine Grundtenor bei den Menschen dort sei: «Hey, wir lassen uns nicht vertreiben.» Mitspielen mag, dass es für die Russen – noch – zu gefährlich ist, im Grenzgebiet kriegerisch zu intervenieren, um nicht den Nachbarstaat Ungarn miteinzubeziehen. Mehrfach wurden Isoz und seine Begleiter gefragt, ob man im Westen am Fernsehen sehen könne, was in der Ukraine tatsächlich passiere. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben Freunde in Russland, welche nur mit Informationen der Staatspropaganda versorgt werden. Und sie hätten Angst, dass dies auch in Westeuropa so sei. «Als ich ihnen auf meinem Handy zeigen konnte, dass auf mehreren Apps die Informationen über die Geschehnisse in der Ukraine zuoberst stehen, lächelten sie», erzählt Isoz.
Am Dienstag kehrte er mit seinen Begleitern in die Schweiz zurück, todmüde nach insgesamt 55 Stunden Autofahrt in vier Tagen. Am vergangenen Mittwoch fuhren in Mettmenstetten zwei weitere Lastwagen mit 25 Tonnen Hilfsgütern ab an die polnisch-ukrainische Grenze.
Isoz nimmt nun keine Sachgüter mehr entgegen, einzig die Geldsammlung läuft noch bis morgen Samstag. Mit dem Geld sollen gezielt Waren eingekauft werden, welche die Ukrainer in der nächsten Zeit benötigen werden.
«Damit sie nicht so traurig sind»
Hannah Bock-Koltschin hat in Knonau Hilfsgüter gesammelt. Von der Klinik, in der die Deutsche arbeitet, hat sie viele Medizinalgüter erhalten, auch von Altersheimen im Bezirk Affoltern und Umgebung. Ein Anbieter von Hygieneartikeln aus Mettmenstetten hat ihr viele Windeln zukommen lassen, eine Schreinerei in Knonau hat ihr eine Lagerstätte für die Hilfsgüter zur Verfügung gestellt. Menschen aus Knonau und Umgebung haben ihr zudem Thermo-, Kinder- und Babykleider sowie Lebensmittel gebracht. «Was ich hier an Herzlichkeit und Solidarität gegenüber mir und meiner Familie von der ganzen Region erfahren habe, ist unglaublich. Ich verwende den Begriff Heimat nur selten, aber das Knonauer Amt ist zu meiner zweiten Heimat geworden, ist nicht nur mein Daheim», zeigt sich Hannah Bock-Koltschin emotional stark berührt. Von einigen ukrainischen Kindern, welche im Säuliamt wohnen, hat sie einen Karton mit Babyware und Spielsachen, Nuggis und Kakao erhalten. «Das ist für Kinder dort, damit sie nicht so traurig sind und etwas zum Spielen und zum Essen haben», haben ihr die Kinder gesagt.
Hannah Bock-Koltschin organisiert ihre Hilfsaktion über ihre Familie. Diese Woche fuhr sie mit einem vollbepackten SUV-Auto nach Wadern (in der Nähe von Trier), wo Teile ihrer Familie wohnen. Dort wurden die Hilfsgüter umgeladen, von ihrem Bruder nach Leipzig weitertransportiert, und von dort nach Polen, wo ein ukrainischer Kollege ihres Bruders sie «waghalsig», wie Bock-Koltschin betont, nach Kiew weiterfährt. Klappt alles, sollte die Ware am heutigen Tag dort verteilt werden können.
Auch viele Geldspenden hat sie erhalten. Davon wurden Medizinalgüter gekauft und werden via ihre Familie in Wadern in die Ukraine gebracht werden. An diesem Wochenende wird zudem ein grösserer Konvoi Richtung Krankenhaus in Kiew losfahren. Hannah Bock-Koltschin selber wird bis nächsten Mittwoch unterwegs sein. Menschen, die ihr weitere Hilfsgüter in Knonau übergeben möchten, sollen sich mit ihr telefonisch absprechen. Sie holt auch Sachen, welche die Menschen nicht selber transportieren können, bei ihnen ab.
Enorme Solidarität
Vor zwei Wochen hat Saskia Wendel zusammen mit drei engagierten Menschen aus Affoltern und Ottenbach den Verein teplo gegründet, um den Menschen in der Ukraine und umliegenden Grenzgebieten zu helfen. Beim Sammellager in Affoltern stehen 15 Palette und 70 Kartonschachteln mit Sachspenden bereit, alles fein säuberlich sortiert von 20 freiwilligen Helferinnen und Helfern, die sich auf einen Facebook-Aufruf hin gemeldet hatten. Versandbereit sind auch Medikamente, Verbandsmaterial, Hygieneartikel, Kinder- und Babyartikel, Lebensmittel, Decken und Schlafsäcke eingepackt. «Wir erhielten auch sehr viele Kleider, doch nun sammeln wir die nicht mehr. In der Ukraine sind inzwischen genug Kleider zusammengekommen», sagt Saskia Wendel.
Heute Freitag werden zwei Lieferwagen und ein Personenwagen in Richtung Ukraine losfahren. Die Unterstützung von teplo ist über die Familie Bianca in Nischyn im Norden der Ukraine organisiert. Der Mann ist Schweizer, seine Frau und die Kinder sind Ukrainer. Sie wissen genau, wo das Geld und die Hilfsgüter am ehesten gebraucht werden. «Wir schicken ihnen täglich Geld, damit sie geeignete Waren einkaufen können. Doch wie lange wird das noch möglich sein?», ist Saskia Wendel besorgt. Sie ist beeindruckt von der hierzulande gezeigten Unterstützung. «Die Solidarität ist enorm.» Viele Leute hätten sich gemeldet, die einfach in irgendeiner Form helfen wollten. Und an der Sammelstelle in Affoltern hätten viele Menschen ihren Gefühlen und der Trauer über die Zustände in Ukraine freien Lauf gelassen und seien teils in Tränen ausgebrochen.
www.there-for-you.com/donations/ukraine-lieferung-hilfsgueter
www.sucino.com >> «UKRAINE», humanrights@sucino.com, 0797880023
www.teplo.ch, Zwillikerstrasse 4a, Affoltern, Di, Do, 19-21 Uhr, Sa, 10-12 Uhr