Wenn der Weg vor dem Richter endet

Seit 2012 möchte die Stadt Zürich in Wettswil bauen – doch zur Erschliessungsstrasse des neuen Quartiers gibt es Streit

In der Nachbarschaft wehrten sich auch andere gegen die Erschliessungsstrasse - etwa mit solchen Schildern. (Bild zvg)

Im Zentrum dieser Geschichte stehen ein neues Dorfquartier, zwei Erschliessungsstrassen und ein Gerichtsentscheid, der die Gewissheiten, die im November 2023 rund um diese Planung zustande gekommen sind, wieder zerzaust. Als aussenstehende Person ist man geneigt, in ­besagter Geschichte auch Hermann Baur eine tragende Rolle zuzuschreiben, selbst wenn das dem 61-Jährigen nicht so recht passt. Eigentlich möchte er seinen ­Namen lieber nicht in der Zeitung lesen, nicht allzu energisch zitiert und erst recht nicht fotografiert werden. Baur will nicht zur Hauptfigur eines Anliegens gemacht werden, das, wie er sagt, noch andere Wettswilerinnen und Wettswiler teilen. «Ich möchte niemandem etwas Böses», bekräftigt er. «Aber bei einer Erschliessung, die langfristig ­geplant wird und Generationen betrifft, finde ich es wichtig, eine sinnvolle ­Lösung zu finden.»

Inzwischen füllen Hermann Baurs Akten zum geplanten Quartier «Weier­ächer-Grabmatten» acht Bundesordner. Das neuste Dokument: Der Entscheid des Verwaltungsgerichts, mit dem das Abstimmungsergebnis vom 19. November 2023 wieder aufgehoben wird. Es waren Hermann Baur und sein Bruder Daniel gewesen, die den Stimmrechtsrekurs eingereicht hatten. Wie kam es dazu?

Nach Kritik von Anwohnern änderte die Gemeinde die Zufahrtsroute

Das Gebiet «Weierächer-Grabmatten» soll in den nächsten Jahren überbaut werden. Damit entsteht Wohnraum für bis zu 1200 Personen. Bevor jedoch gebaut werden kann, muss geklärt sein, wie das neue Quartier erschlossen wird. Deshalb stellte die Stadt Zürich, die auf genanntem Areal den grössten Land­anteil besitzt, im Sommer 2012 ein ­Gesuch um Einleitung eines Quartierplanverfahrens. Zuvor hatte es Bemühungen gegeben, die Erschliessung des Bau­gebiets auf privater Vertragsbasis zu regeln. Ohne Erfolg.

Ab 2015 wurden die Grundeigentümer in mehreren Veranstaltungen zur Mitwirkung eingeladen. Zur Diskussion stand dabei, wie die Zu- und Wegfahrt via Ettenbergstrasse, die eigentliche Dorfhauptstrasse, verlaufen soll. Auch die Brüder Baur nahmen teil.

Im Herbst 2019 stellte die Gemeinde ihren Entwurf vor, der die Zu- und Wegfahrt via Lenggenweg vorsah. Allerdings waren längst nicht alle Anwohnerinnen und Anwohner glücklich mit dieser Lösung; sodass die Gemeinde eine weitere Erschliessungsvariante ausarbeiten liess und diese im Frühjahr 2020 präsentierte. Neuerdings bevorzugte die Gemeinde aus verschiedenen Gründen eine Variante, die statt über den Lenggenweg via Breitenmattstrasse führt. Gegen diese Variante setzt sich Hermann Baur seither gemeinsam mit seinem Bruder zur Wehr. Baurs Grundstück grenzt direkt an die Breitenmattstrasse. Das sei allerdings nicht der Grund für ihren Widerstand, bekräftigt er. Die Kreuzung neben ihrem Grundstück sei gefährlich und unübersichtlich, argumentiert er.

Ein Augenschein vor Ort zeigt, dass die Kreuzung tatsächlich unübersichtlicher ist als jene am Lenggenweg. Die Verkehrssicherheit war für die Bewertung der beiden Varianten durch die Gemeinde aber nur eines mehrerer Kriterien.

An der Umfrage der Brüder Baurnahmen über 500 Personen teil

Nun läge der Verdacht nahe, dass diese Meinungsverschiedenheiten wohl vor allem Einwohnerinnen und Einwohner interessieren, die von den beiden Varianten direkt betroffen sind.

Dass dies nicht unbedingt stimmte, zeigte sich in den Folgemonaten: Im Frühling 2022 verschickten Hermann und Daniel Baur eine Umfrage in alle Wettswiler Haushalte, in der man sich für eine der beiden Varianten aussprechen konnte. Dabei erzielten sie 90 % Zustimmung für ihre Variante. Im Erklärungstext war zwar wenig ausgewogen von einer «gefährlichen» und einer «sicheren» Variante die Rede. Alarmismus allein dürfte den Rücklauf von fast 550 Antworten aber auch nicht erklären.

Als die Gemeinde im März 2023 rund um die Nutzungs- und Verkehrsplanung zu einer Infoveranstaltung in den Mehrzwecksaal Ägerten einlud, ­kamen 140 Personen. Das Quartierplanverfahren «Weierächer-Grabmatten» sei nicht Thema, stellte Gemeindepräsidentin Katrin Röthlis­berger damals gleich zu Beginn klar. Ein grosser Teil der Anwesenden ­dürfte deswegen gekommen sein, vermutete der «Anzeiger» in der Nachberichterstattung. Grund dafür waren diverse Wortmeldungen: Einzelne Votanten kritisierten, dass die geplante BZO-Teilrevison von vornherein nur noch eine Erschliessungsvariante ermöglichte: und zwar jene, die von der Gemeinde favorisiert wurde. Hermann Baur sagt, dies sei an jenem Abend von Michael Nanz, dem Projektleiter des beigezogenen Ingenieurbüros gpw, bestätigt worden. Andere Fragen blieben an jenem Abend unbeantwortet: Die Gemeinde nahm keine Stellung dazu, weshalb sie nach den Reklamationen einzelner Anwohner im Herbst 2019 plötzlich nicht mehr die ursprüngliche Variante bevorzugte, sondern eben jene mit ­weniger Sichtfeld. An dieser Infoveranstaltung gab es zudem Wortmeldungen von Anwohnern, die auf Unfallrisiken hinwiesen und sich daran störten, dass mit der kommunalen Planung nicht ­zugewartet werde, bis die Erschliessung geklärt sei.

Gemeinde: «Quartierplan war nicht Gegenstand der Abstimmung»

Die teilrevidierte BZO wurde am 19. November 2023 mit 51,5 Prozent knapp angenommen. Mittlerweile wurde die Abstimmung aber für ungültig erklärt. Das Verwaltungsgericht gab den Brüdern Baur recht, die bemängelt hatten, im Beleuchtenden Bericht hätten entscheidende Informationen gefehlt. Konkret fehlten Angaben dazu, welches Erschliessungskonzept die Gemeinde verfolgt. Damit hätten sich die Stimmberechtigten kein genügendes Bild der Vorlage machen können, so das Gericht.

«Gemäss dem Verwaltungsgerichtsurteil hätte diese Information im ­Beleuchtenden Bericht erwähnt werden müssen», räumt die Gemeinde auf Anfrage ein. «Der Gemeinderat ging aber davon aus, dass der Quartierplan und damit verbundene Entscheidungen nicht Gegenstand der Abstimmung sind und mit der Erwähnung im Beleuchtenden Bericht auch nicht zum Gegenstand der Abstimmung gemacht werden dürfen.» Wie im Beleuchtenden Bericht ­erwähnt worden sei, blieben auch nach einem positiven Abstimmungsergebnis mehrere Erschliessungsvarianten grundsätzlich möglich. «Andere Varianten (...) würden jedoch zusätzliche, umfangreichere Umzonungen erfordern.» Die ­Entscheidung, welche Erschliessungs­variante am Ende gelten solle, werde im Quartierplanverfahren unter Beteiligung der Grundeigentümer getroffen. Stehe diese fest, werde auch die Öffentlichkeit informiert und erhalte die Möglichkeit, ein Rechtsmittel zu ergreifen.

Der Gemeinderat werde konsequent die Erschliessungsvariante verfolgen, die aus der Perspektive des Quartierplanverfahrens optimal sei. Dabei müsse sich der Gemeinderat von den öffentlichen Interessen leiten lassen.

Ob die Abstimmung zur BZO wiederholt wird, ist offen. Die Gemeinde entscheidet, ob und wie sie das Geschäft den Stimmberechtigten erneut unterbreiten will.

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