«Wenn die Tracht im Schrank verstaubt, wird es Zeit loszulassen»
Warum nach 100 Jahren Trachtengruppe Knonaueramt jetzt Schluss ist
«Uns war 2022 klar: So wie früher wird es nicht mehr», sagt Angela Stump, Präsidentin a. D. der Trachtengruppe Knonaueramt. Die einst florierende Trachtengruppe, gegründet 1925, ist nach einem Jahrhundert Geschichte. Die Entscheidung fiel an der 100. Generalversammlung in Mettmenstetten im vergangenen April. Fast alle Anwesenden stimmten der Auflösung zu, ein paar enthielten sich, vereinzelte sagten Nein. «Der Vorstand war erleichtert», erinnert sich Angela Stump. Es war ein Abend zwischen Abschied und Aufbruch – mit Musik, gutem Essen und vielen Erinnerungen.
Ein langer Abschied
Die ersten Warnzeichen kamen schleichend. Bereits 2013 stellte der Trachtenchor mangels Stimmen und Nachwuchs seine Proben ein. Ein Jahr später folgte die Tanzgruppe – zu wenig Mitwirkende, zu wenig Interesse. Die einst lebendige Vereinsstruktur schrumpfte auf gesellschaftliche Anlässe zusammen – Generalversammlungen, Wanderungen, Theaterbesuche, ein Chlaushöck. «Nett, ja – aber mit unserem Vereinswesen hatte das immer weniger zu tun», sagt Stump.
Im Jahr 2022 stellt sich der Vorstand die entscheidende Frage: Wofür stehen wir eigentlich noch? «Die Tracht blieb meist im Schrank», so die Präsidentin. «Und ohne Brauchtum verliert der Verein die Seele.» Der Entschluss war gefasst: geordneter Rückzug bis 2025.
Alterskurve steil nach oben
Ein Blick in die Mitgliederliste bestätigt den Trend. Die Mehrheit ist deutlich über 65, viele bereits inaktiv. «Einige traten schlichtweg altershalber aus», bestätigt Stump. An überregionale Anlässe wie kantonale Trachtentage oder eidgenössische Feste reisten nur noch wenige. Auch die Probenbesuche gingen rapide zurück.
Der Versuch, Nachwuchs zu gewinnen, scheiterte trotz intensiver Bemühungen. Tracht schien einfach nicht mehr cool zu sein. Demgegenüber blieb sie für viele Mitglieder ein Symbol der tiefen Verbundenheit. «Ich war seit fünf Jahrzehnten in verschiedenen Trachtenvereinen in Solothurn, Aargau und Zürich aktiv», sagt Angela Stump. Sie sei stolz auf ihre Ämtler Sonntagstracht: rohseidene Schürze, rote und weisse Socken, dazu das markante «Puureföifi» – die römische V auf dem Rücken, Symbol für das Knonauer Amt, den fünften Bezirk im Kanton Zürich.
Kulturgut in guten Händen
Die Vereinschronik ist reich an unvergesslichen Momenten. Beim eidgenössischen Trachtenfest 1998 in Bern marschierte die Trachtengruppe mit wehenden Fahnen beim Umzug mit. Auch beim Unspunnenfest 2017 in Interlaken – einem der grössten traditionellen Anlässe der Schweiz – war die Trachtengruppe dabei. Besonders im Gedächtnis blieben auch die Veranstaltungen im Dorf. «So tönts bi eus uf em Märtplatz», hiess das Motto der jährlichen Trachtenfeste mit Musik, Tanz und Verpflegung. «Sie waren Treffpunkt für Jung und Alt – und Ausdruck gelebter Heimat», sagt Stump.
Das letzte grosse Highlight war das Eidgenössische Trachtenfest in Zürich im Jahr 2024. «Ein würdiger Abschluss. Er hat noch einmal gezeigt, wie schön und verbindend dieses Brauchtum sein kann», erinnert sich die Präsidentin. Mit der Auflösung der Trachtengruppe stellte sich zwangsläufig die Frage: Was passiert mit den Trachten, dem Schmuck, mit all den ideellen Werten? «Uns war wichtig, dass die Trachten in guten Händen sind», sagt Stump. Die Kostbarkeiten wurden an die «Stiftung zur Erhaltung und Förderung des traditionellen Handwerks im Zürcher Berggebiet» in Bauma übergeben – einem Kompetenzzentrum für Trachten und ländliches Kulturgut. «Dort sind sie gut aufgehoben. Sie können jederzeit wieder getragen und ausgestellt werden. Das ist uns wichtig», ergänzt sie. Denn auch wenn der Verein nicht mehr existiert, lebt das, was ihn geprägt hat, weiter.
Heimatgefühl wandelt sich
Die Vereinsauflösung ist auch ein Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen. «Viele Menschen wollen sich heute nicht mehr verpflichten», weiss Stump aus Erfahrung. Freizeit wird flexibler, digitaler. «Früher war das Vereinsleben ein fester Bestandteil der Identität – heute bedeutet Heimat für viele etwas anderes.»
Die zunehmende kulturelle Durchmischung bringt neue Impulse, verändert aber auch Traditionen. «Das Heimatgefühl wandelt sich – aber das ist kein Verlust, sondern ein Prozess», sagt sie.
Und wie soll es nun weitergehen? «Ich wünsche mir, dass unser Heimatwerk in Bauma nicht in Vergessenheit gerät – und auch finanzielle Unterstützung findet», so die Präsidentin. Auch im Knonauer Amt soll die Tracht nicht völlig verschwinden. Vielleicht bei besonderen Anlässen, vielleicht, getragen von Menschen, denen das Freude bereitet. «Die Tracht darf kein Museumsstück werden», sagt sie zum Abschied. Vielleicht holt ja irgendwann jemand den Hut wieder aus der Schachtel – und tanzt weiter, wo die Trachtengruppe aufgehört hat.