Windkraft im Gegenwind

Am SVP-Podium in Bonstetten kreuzten Balthasar Glättli und Susanne Brunner die Klingen

So kann es dem Publikum auch ergehen: Es findet an einem Donnerstagabend den Weg in den Gemeindesaal, um sich Argumente für oder gegen die Windkraft anzuhören, und erfährt als Erstes etwas unverhofft dies: Ja, beide Podiums-Gäste finden nachts in einen tiefen Schlaf.

Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli, obwohl er gemäss Zitat im «Tages-Anzeiger» die Greenpeace-Wahlzeitung im verbotenen «20-Minuten»-Look und damit «illegale Sachen» unterstützte. Und SVP-Kantonsrätin Susanne Brunner, obwohl die Mütter- und Väterberatung der Stadt Zürich jüngst mit Forderungen nach einer genderneutralen Erziehungs-sprache wieder einmal die Nerven der Bürgerlichen strapazierten.

Mit seiner Einstiegsfrage zur Schlaf-Qualität seiner Gäste hatte Gastgeber und Präsident der SVP Bonstetten Claude Wuillemin unter zwei politischen Gegenpolen den ersten (und einzigen) Konsens des Abends zu Tage gefördert. Zumindest bei den menschlichen Grundbedürfnissen finden sich Gemeinsamkeiten. Der unverkrampfte Auftakt in den Abend war geglückt, der gepflegte Dissens über Windkraft konnte starten.

Wer Energie will, muss sie produzieren

Das Auftakt-Plädoyer gehörte Balthasar Glättli. «Die Windkraft ist im Energiemix der Zukunft ein wichtiger Teil», sagte er einleitend. Der Volksentscheid vom 18. Juni 2023, aus den fossilen Energien auszusteigen, bringe es mit sich, dass diese Energien nun anderweitig produziert werden müssten. Wobei der Umstieg – klar – unter dem Strich zu einem höheren Energiebedarf führe. Um ihn zu decken, sieht Glättli neben der Sonnenenergie, der «breitesten und akzeptiertesten Form» die Windenergie als gute Ergänzung. Von «Geheimplänen», wie Claude Wuillemin die Übersichtskarte des Baudirektors Martin Neukom zu potenziellen Windkraft-Standorten nannte, wollte Glättli nichts wissen: Bereits im vergangenen Herbst seien Informationen über die Potenzialgebiete herausgegeben worden. Zudem erinnerte er daran, dass jede und jeder einzelne mit mehr Energieeffizienz einen Beitrag leisten könne, um den Energieverbrauch zu reduzieren, selbst wenn sich der Interessenskonflikt nicht wegdiskutieren lasse: «Wenn wir Energie wollen, müssen wir sie auch produzieren», resümierte Glättli: «Man kann das Fell des Bären nicht waschen, ohne dass man es nass macht.»

Lieber neue Atomkraftwerke bauen

Susanne Brunner sah die Angelegenheit freilich etwas anders: «Ich habe das Gefühl, wir haben beim Strom völlig den Verstand verloren», sagte sie mit Blick auf die Energiepolitik des Bundes, die sich längstens «als grundfalsch» erwiesen habe: Etwa die Berechnungen des zukünftigen Energiebedarfs, der sich als viel zu tief herausgestellt habe. So sei der Kanton Zürich nun «in der Hektik» zum Windkanton ausgerufen worden, 120 Anlagen an 46 Standorten wurden evaluiert, obwohl dem Kanton Zürich in einer Studie aus dem Jahr 2014 nur ein geringes Potenzial für Windkraft attestiert worden sei. «Die Windkraft belastet Mensch und Tier und zerstört Landschaften. Dabei können mit 120 Anlagen bestenfalls sieben Prozent des Bedarf gedeckt werden. Das steht in keinem Verhältnis», fand Brunner. Als Lösungsansätze zählte sie zwei Punkte auf. Erstens: neue Atomkraftwerke bauen. Zweitens: Die Windkraft im Kanton Zürich (und wenn möglich in der ganzen Schweiz) verhindern.

Drei mal so hoch wie der Kirchturm

Im Anschluss nahmen die beiden zu Fragen aus dem Publikum Stellung. Auch AKW kamen nochmals zur Sprache: Susanne Brunner argumentierte, günstige und zuverlässige Bandenergie, auf welcher der Wohlstand der Schweiz auch baue, könnten nur AKW liefern. Glättli argumentierte, nicht zuletzt aus wirtschaftlicher Sicht seien Kernkraftwerke keine Lösung für aktuelle Probleme: Die geltende Rechtslage sehe den Bau nicht mehr vor, Rückbaukosten seien bisher kaum bezifferbar und selbst wenn eines Tages wieder gebaut würde, wäre ein Milliarden-Kapital über Jahre gebunden, das man zwischenzeitlich in erneuerbare Energien hätte investieren können. Aus dem Publikum kamen auch Bedenken wegen der Höhe von Windanlagen. 200 Meter, das sei «dreimal der Kirchturm von Mettmenstetten». Glättli negierte die polarisierende Optik nicht und meinte: «Staumauern sind auch keine ästhetischen Wunderwerke». Er argumentierte mit der Rückbaubarkeit: Mit einer Lebensdauer von 30 Jahren würden Windanlagen – anders als ein AKW – immerhin die Option offen lassen, einst auf dem selben Boden etwas Neues zu schaffen.

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