«Wir feuern niemanden an, nur uns selbst»
Im Zürcher Verein «Fire Allstars» können Jugendliche und Erwachsene das Cheerleading lernen. Zum Team «Blue Fire» gehören auch drei Säuliämtlerinnen. Wie trainieren die Frauen? Ein Einblick.

Als Erstes denkt man an farbige Pompons. Dann an die Zicke aus den Highschool-Komödien, an spindeldürre Körper und nette Pausenunterhaltung. Man sieht sie vor dem inneren Auge mit ihren Puscheln wedeln, man hört sie skandieren – und dann… stellt man fest: Die geben einem ja gar kein O, und auch kein H – OH! Sondern ein B ein U, ein Doppel-L, ein S, ein H, ein I und ein T. B-U-L-L-S-H-I-T! – all diese Vorurteile gegenüber dem Cheerleading.
«Was wir machen, hat wenig mit dem zu tun, was man aus amerikanischen Filmen kennt», betont Selina Hauser beim Eingang der Turnhalle Limmat in Zürich. «Wir machen Leistungssport.» Hauser trainiert die «Blue Fire», das stärkste der fünf Teams im Zürcher Club «Fire Allstars». Im vergangenen Jahr hat sie sich mit ihnen für die Cheerleading-Weltmeisterschaften in Orlando, Florida, qualifiziert – die nun allerdings aufgrund der aktuellen Situation ausfallen dürften.
Akrobatik- und Kunstturnelemente statt Stoffpuschel und Rufe
Dreimal wöchentlich treffen sich die Frauen abends zum Training. Gestartet wird mit ein paar Aufwärmübungen. Manche plaudern, albern herum, die Trainingsatmosphäre ist locker – dennoch hat das Team in sportlicher Hinsicht hohe Ansprüche an sich.
Die «Blue Fire» machen «Competitive Cheerleading». Das heisst, sie nehmen ausschliesslich an Wettkämpfen teil – tänzerische Unterstützung am Spielfeldrand von anderen Sportarten bieten sie nicht. Auch Pompons oder Anfeuerungsrufe sucht man bei ihnen vergebens. Stattdessen präsentieren die Athletinnen eine Mischung aus Akrobatik, Kunstturn- und Showelementen. Bewertet werden dabei zum Beispiel die Synchronität, der Schwierigkeitsgrad der gezeigten Figuren oder der «Spirit», den die Gruppe ausstrahlt. Die Darbietungen dauern zwischen zwei und drei Minuten und werden von Musik begleitet.
Nach dem Aufwärmen sind einzelne Bodenübungen dran: Eine schlägt ein Rad, eine andere übt den Rückwärtssalto, die dritte den Handstand. Später werden einzelne dieser Elemente in der Gruppenperformance geübt. «Seven – eight – one – two – three – four», ruft Selina Hauser, während die Damen die einstudierte Choreografie möglichst synchron vorführen. «Die Niveaus unserer Athletinnen sind ganz unterschiedlich», sagt sie. Manche haben schon Kunstturn-Erfahrung, wenn sie mit dem Cheerleading beginnen, andere nicht. Mitmachen dürften bei den Fire Allstars alle, betont Hauser.
Kein Körperkult, trotz knapper Outfits
Auch Tatjana Grötsch aus Mettmenstetten hat das Cheerleading vor anderthalb Jahren für sich entdeckt. Zuvor hatte die 19-Jährige Voltige gemacht – Akrobatik auf dem Pferd. Am neuen Hobby gefällt ihr die Vielseitigkeit: «Es vereint Kraftelemente mit Tanz und Akrobatik.» Auch der Zusammenhalt in der Gruppe ist ihr wichtig: «Cheerleading lebt vom Teamspirit.»
Bei «Blue Fire» ist die jüngste Athletin 14 Jahre alt, die älteste 33. An den Outfits ist wenig Stoff, und in der öffentlichen Wahrnehmung ist der typische Cheerleader-Körper – geprägt durch die Filmindustrie – vor allem eines: schlank und durchtrainiert. Dazu sagt Selina Hauser: «Mir ist es wichtig, dass die Athletinnen ein gesundes Essverhalten pflegen.» Dies sei auch nötig, ansonsten halte der Körper der Trainingsbelastung nicht stand. Es sei schon vorgekommen, dass Athletinnen an Essstörungen gelitten hätten, in ihrem aktuellen Team jedoch seien diese kein Thema.
Drei Trainings pro Woche – und Übungen zuhause
Auch Larissa Roth aus Wettswil gehört seit sieben Jahren zum Team. Kennengelernt hat sie das Cheerleading in den USA, gefallen hat es ihr schon als kleines Mädchen. Mit zwölf Jahren trat sie der Junioren-Gruppe bei. Das Cheerleading sei ihre grosse Passion, sagt die 19-Jährige: «Man ahnt nicht, wie viel Zeit und Leidenschaft dieser Sport von uns Athletinnen fordert.» Neben den drei wöchentlichen Trainings übt sie einzelne Bodenturnelemente auch regelmässig zuhause. Larissa Roth hat bei den «Stunts», den Hebefiguren in der Choreografie, eine spezielle Rolle. Sie ist eine der «Flyer». Das heisst, ihre vier Kolleginnen stehen sich am Boden, gegenüber und bilden mit ihren Armen eine Art Sprungkissen. Darauf sitzt oder steht sie, um von den anderen in die Luft katapultiert zu werden und verschiedene Figuren vorzuführen.
Nach missglücktem Sprung den Oberarm gebrochen
Wieder heisst es: «seven – eight – one – two – three – four», die Stuntgroups formieren sich und wirbeln ihre Athletin durch die Luft. Immer und immer wieder. «Die Stunts brauchen viel Vertrauen», sagt Larissa Roth. Nach einer Figur wird sie von ihren Teamkolleginnen nicht richtig aufgefangen, sie landet auf dem Boden, bleibt unverletzt. Nicht immer gehen Stürze so glimpflich aus: Vor drei Jahren brach sie sich in einem Training den Oberarm. Roth sieht es pragmatisch: «Verletzungen gehören dazu.» Gerade im Cheerleading sind sie keine Seltenheit. Umso mehr ärgert es die junge Athletin, wenn Leute glauben, in diesem Sport werde nur «rumgetänzelt». Immer wieder erlebe sie das. «Manche Leute glauben, wir hüpfen am Spielfeldrand mit Pompons rum. Dabei feuern wir gar niemanden an, ausser uns selber.»