«Wir Gewerbler sind für die Politik bei der langfristigen Entwicklung quasi inexistent»
Thomas Frick, Präsident des KMU- und Gewerbeverbands Bezirk Affoltern, im Interview

«Anzeiger»: Thomas Frick, sind Sie zufrieden mit dem Richtplan?
Thomas Frick: Grundsätzlich sind die Änderungen im revidierten Richtplan gegenüber der früheren Version minimal. Das Gewerbe ist schon im vorgängigen Richtplan nicht gross berücksichtigt worden. Es geht im Richtplan fast nur um die grossen industriellen Plätze, die man entlang der S-Bahn einrichten will. Das Kleingewerbe, die KMU, ist dagegen nicht vertreten – und auch nicht so vorgesehen.
Das ist doch relativ erstaunlich. Denn es gibt ja mehrere Hunderte KMU in der Region. Wie erklären Sie sich, dass die Gewerbebetriebe in diesem Zukunftsplan so gut wie nicht vorkommen?
Ich glaube, die Politik denkt zu wenig an uns. Die Politik hat uns nicht auf dem Radar, obwohl wir eigentlich die sind, die hier die Arbeitsplätze garantieren, zumindest den grössten Teil. In der Regel sind 80 bis 90 Prozent der Arbeitsplätze bei KMU angesiedelt. Wir bilden zum Beispiel auch einen Grossteil der Lehrlinge aus im Säuliamt. Und doch hat für die Politik das Gewerbe nicht die oberste Priorität. Wir haben manchmal sogar ein wenig das Gefühl, wir seien lästig. Das Gewerbe ist dafür immer dann zuoberst auf der Liste, wenn es darum geht, eine Tombola zu füllen, oder wenn es darum geht, für eine Gemeinde etwas in Fronarbeit zu leisten, etwa für einen Anlass oder ein Dorffest. Dann werden wir jeweils gerne angefragt. Aber davon abgesehen sind wir Gewerbler bei der langfristigen Entwicklung für die Politik quasi inexistent – das ist ein starker Vorwurf, aber so empfinde ich das.
Sie sehen vor allem die Politik in der Pflicht. Welchen Anteil an dieser Entwicklung hat das Gewerbe selber? Früher hatte das Gewerbe ja grossen, bisweilen sogar sehr grossen Einfluss auf die Politik.
Das liegt sicher auch an den Gewerblern selber, das liegt an unserer Organisation. Wir sind sehr zersplittert, wir finden keine Einigkeit. Das möchte ich als Präsident des Bezirks ändern. Auf kantonaler und nationaler Ebene ist das anders. Dort haben wir den KGV, den Kantonalen Gewerbeverband Zürich, der spricht mit einer Stimme, und schweizerisch ist es der SGV, der Schweizerische Gewerbeverband, auch dieser vertritt Parolen und Meinungen mit einer Stimme. Das ist bei uns im Bezirk nicht so. Auch in der Lokalpolitik äussern sich die Gewerbler nicht. Das hat auch damit zu tun, dass sie sich nicht so organisieren und vor allem nicht so exponieren wollen. Der Kleingewerbler lebt halt vom Dorf, vom Nachbarn, vom Gemeinderat oder dem Kollegen des Gemeinderats – und er hat Angst, dass er Aufträge verlieren könnte. Das reduziert den Einsatz der Gewerbler für sich selber ziemlich.
Umso mehr bräuchte es jemanden, der unabhängig agieren kann. Würden Sie diese Rolle übernehmen wollen?
Wir sind jetzt dran, unseren Bezirksverband umzustrukturieren, damit wir wieder einen Vorstand bekommen, der etwas mehr Zeit hat. Derzeit sind die Präsidenten der einzelnen örtlichen Vereine im Vorstand vertreten – und die sind zeitlich bereits stark belastet. Wenn man da Zusatzaufgaben verteilen möchte, wird es relativ schwierig. Wir sind jetzt auf der Suche nach einem Vorstand, der mehr Zeit hat und mehr Schlagkraft, um unsere Interessen zu vertreten.
Meine Idee ist, dass wir uns vermehrt auf der sachlichen Ebene orientieren und diskutieren, unabhängig von allzu lokalen Einflüssen. Dass wir über Arbeitsplätze reden können, über Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, über eine hohe Lebens- und Wohnqualität. Ich zum Beispiel lebe in Hausen. Man stelle sich vor, wir hätten in Hausen keine Gewerbler mehr, und etwas am Elektrischen geht kaputt oder man braucht einen Schreiner oder Dachdecker. Wenn dann dieser Handwerker zuerst von Affoltern, Hedingen, Zürich oder Zug kommen müsste, dann ist das nicht gut. Ich bin überzeugt, dass die Gewerbler Teil der hohen Wohn- und Lebensqualität sind, die wir im Amt haben.
Wenn Sie den angesprochenen Richtplan charakterisieren müssten, wie würden Sie ihn beschreiben aus Sicht des Gewerbes?
Ich glaube, der Richtplan will sich auf industrielle Standorte konzentrieren, wo man eine grosse Fabrik hinstellen könnte. Wir sprechen da grundsätzlich von den Gemeinden entlang der S-Bahn, von Mettmenstetten, Affoltern, Hedingen, Bonstetten und Wettswil. Das kann man in gewisser Weise nachvollziehen, die Gemeinden liegen entlang der Autobahn und eben der S-Bahn. Das ist quasi die Entwicklungsnabelschnur, wie sie bereits vom Kanton festgelegt wurde. Doch das ist eine sehr theoretische Sicht und hat nichts mit den Bedürfnissen zu tun, die wir aus Sicht des Gewerbeverbands haben. Und es hat nichts mit dem Säuliamt zu tun, wenn man es kennt. Wir sind ja sehr dezentral organisiert.
Werden Sie konkret auf den Richtplan reagieren?
Viele Einflussmöglichkeiten haben wir nicht, ich glaube auch, dass die Möglichkeiten, etwas zu ändern, relativ gering sind. Wir werden daher diesbezüglich nichts unternehmen. Man muss auch realistisch bleiben und sehen, dass das Gewerbe im Grossen und Ganzen nicht verhindert wird. Wir haben ja viele Gewerbebetriebe, die auch in einer Kernzone, einer Mischzone oder sogar in einer Wohnzone funktionieren können. Das Gewerbe wird auch nicht aus den Dörfern hinausgedrängt. Aber es fehlt halt die Perspektive. Nehmen wir beispielsweise einen Garagenbetrieb, es steht ein Generationenwechsel an und der Junge sagt: «Ich brauche einen grösseren Ausstellungsraum, ich brauche mehr Platz, mehr Aussenflächen, wo kann ich das umsetzen?» Dann schaut man auf den Richtplan und stellt fest: Das lässt sich fast nirgendwo realisieren. Das ist nicht vorgesehen.
Was sind denn die mittel- und langfristigen Konsequenzen dieser Entwicklung? Man weiss ja, dass die Region in der jüngsten Vergangenheit stark gewachsen ist – und genauso rasant weiterwachsen dürfte. Was passiert, wenn das Gewerbe da nicht mithalten kann?
Die Region wird sich wahrscheinlich in Richtung eines Schlafgebiets wandeln. Man hat zwar eine pulsierende Perlenkette entlang der S-Bahn – aber daneben Gebiete wie das Reppischtal, das Oberamt oder Gemeinden wie Obfelden und Ottenbach, die nur noch zum Wohnen da sind. Es gibt dort noch kleine Flächen für Gewerbler, aber mittelfristig werden viele Gewerbegebäude abgebrochen und nicht mehr ersetzt werden. An ihrer Stelle entstehen Wohnbauten. Uns werden dadurch Dienstleistungen fehlen und Arbeitsplätze. Was man dabei auch nicht vergessen darf: Das Gewerbe ist relativ CO2-schlank unterwegs. Je dezentraler die Gewerbebetriebe aufgestellt sind, desto weniger weit muss man fahren mit Lieferwagen und Lastwagen.
Eine letzte Frage: Wie sieht Ihre Vision für das Gewerbe aus – und für den Umgang mit der Politik?
Ein Rezept gibt es nicht. Ich wäre schon zufrieden, wenn der lokale Politiker das Gewerbe im Auge hat. Wenn er bei bestimmten Entwicklungen oder Umnutzungen etwa an den örtlichen Zimmereibetrieb denkt, den Dachdecker, den Garagisten, und sich fragt, wie sieht die Entwicklung in 10, 15 Jahren aus – und zwar ohne, dass der Gewerbler vorher anklopfen und sagen muss: «He, vergiss mich nicht!» Letzteres hat nämlich zur Folge, dass manche Politiker von den Gewerblern denken, dass diese immer nur fordern. Es wäre schön, wenn die Politiker alle Teile der Bevölkerung bei ihren Entscheiden berücksichtigen – das Gewerbe ist ein wichtiger Teil davon. Eigentlich ein bescheidener Wunsch, aber es würde schon viel helfen.