Mit Video: Zum Abschied packt sie richtig an
An der Heim-WM im Klettern verpasst Petra Klingler den Final – Tränen der Rührung
Am vergangenen Samstag in Bern. Noch wird schnell mit dem Staubsauger die Wettkampfbühne sauber hergerichtet. Mit Bürsten auf langen Stangen werden die vom weissem Magnesium eingepuderten Griffe an der Wand gesäubert. Alles ist bereit, nur das Logo des Schlittschuh Club Bern, hoch oben an einer Sitzreihe platziert, verrät, dass hier in der Halle sonst Eishockeycracks übers Eis flitzen. Doch heute gehört die Arena ganz den Kletterstars.
Langsam füllen sich die Sitzplätze. Es ist 9 Uhr – in einer Stunde werden sich an der Wand in Front der Zuschauer Athletinnen elegant emporziehen, wuchten, hangeln oder schwingen. In den Zuschauerreihen sitzen viele in roten T-Shirts mit einem Schweizer Kreuz darauf. Hier scheint viel Fachpublikum zu sitzen. Viele haben ihren Feldstecher gezückt und schauen gespannt auf die Wand, an der die Kletterinnen vier sogenannte Boulderprobleme lösen müssen. Heisst: Sie müssen sich teilweise an der überhängenden Wand bis ganz nach oben klettern und den Top, den obersten Griff, mit beiden Händen anfassen. Dann ist das Problem gelöst. Fünf Minuten haben die Wettkämpferinnen jeweils dafür Zeit – dann haben sie Pause und greifen Minuten später wieder in den Wettkampf ein, um das zweite, dritte und vierte Problem zu lösen.
Die letzte WM ihrer Karriere
Der Speaker heizt die Stimmung in der Halle an, die mit bis zu 5000 Zuschauerinnen und Zuschauer gut gefüllt ist. Die Heim-WM in Bern ist für die Schweizer Athletinnen und Athleten ein spezielles Spektakel. Das heimische Publikum sorgt für die Extraportion Motivation. Auch bei Petra Klingler. Als einzige Schweizerin hat es die 31-Jährige aus Bonstetten in den Halbfinal der besten 20 Athletinnen geschafft. In der Qualifikation dazu hatte sie sich am vergangenen Donnerstag im Feld mit 110 Athletinnen durchgesetzt.
Der DJ, der direkt neben der Kletterwand für Stimmung sorgt, dreht die Musik noch ein bisschen lauter. Jetzt ist sie da: Petra Klingler, die heute ihre letzte WM bestreitet. Nach den Olympischen Spielen im nächsten Jahr verabschiedet sie sich aus der Szene. Die Heim-WM in Bern ist ihr grosses Saisonziel. Ein Blick nach oben. Die gelben Griffe leuchten im Scheinwerferlicht. Klingler pudert sich die Hände ein, um mehr Halt zu haben. Elegant zieht sie sich hoch. Eins. Zwei. Drei. Und noch ein Griff. Geschafft. Sie hat den Top-Griff erreicht. Jetzt geht es Schlag auf Schlag. «Petra, Petra», hallt es durch die Halle. Wieder ist die Bonstetterin an der Wand. Sie kämpft. Die Uhr läuft gnadenlos. Nach fünf Minuten hat sie den zweiten Boulder nicht bezwungen. Auch das dritte Boulder-Problem löst sie nicht bis zum Schluss. Den vierten Top erreicht sie aber wieder – in letzter Sekunde. Grosser Jubel. Die Fans sind entzückt. Petra Klinger zeigt sich kurz in der Medienzone. Gemischte Gefühle. Aber vor allem die Freude über diese tolle WM in Bern überwiegen. Sie zeigt ihre Hände: Der Kampf an der Wand hat blutige Spuren hinterlassen.
Emotionale Worte
Der Wettkampf ist schon bald zu Ende. Es zeichnet sich ab: Petra Klingler wird nicht im Finale stehen. Sie beendet ihre letzte WM im Halbfinale auf dem 13. Platz. Die besten sechs Kletterinnen werden noch an diesem Samstagabend den Final klettern. Weltmeisterin im Boulder wird schlussendlich die Slowenin Janja Garnbret.
Nochmals tritt Petra Klingler auf die grosse Bühne. Von den Organisatoren der WM wird sie gebührend verabschiedet. «Das kann man hier nicht toppen. Es ist grossartig, meine ganze Familie und Freunde hier zu haben, so viele Leute kamen, um mir zuzusehen», erklärte Petra Klingler mit tränenerstickter Stimme. «Jetzt ist es bald Zeit, um abzutreten und den Jüngeren das Feld zu überlassen – die Jungen sind wirklich stark.» Man werde sie aber auf dem Weg zur Olympiade in Paris noch klettern sehen.
Dann steigt die 31-Jährige von der Bühne; begleitet von grossem Applaus. Eine Fangruppe in der hinteren Reihe reibt sich ein paar Tränen aus den Augen. Da sind sie wieder. Die grossen Emotionen, die der Sport bieten kann.
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