«D’ Moschti» produzierte neun Jahrzehnte flüssiges Gold
Die OVA stand für den Wandel von bäuerlicher Selbsthilfe zur international erfolgreichen Saftproduktion
Fast neun Jahrzehnte gehörte die OVA – schlicht «d’Moschti» – so selbstverständlich zu Affoltern wie der Apfelzweig im Gemeindewappen. Was 1913 als kleine Selbsthilfegenossenschaft von einheimischen Landwirten begann, entwickelte sich zu einem international tätigen Obstsaftproduzenten. Am 27. Februar 2001 jedoch verstummte die Flaschenabfüllanlage für immer, und die Ära der Obstverwertungs-Genossenschaft Affoltern war endgültig vorbei.
Vom Bauernhof zur Genossenschaft
Um 1900 gab es im Säuliamt grosse Obstgärten mit über 120 Apfelsorten. Üppige Obsternten führten aber nicht selten zu übermässigem Schnapsbrennen. Dies bewog findige Bauern dazu, nach Alternativen für die Obstverwertung zu suchen. 1910 trafen sich einige engagierte Landwirte in der «Krone» in Hedingen und beschlossen, eine Genossenschaft zu gründen. Die Initiative stiess schnell auf Interesse.
Im Januar 1912 fand im «Löwen» in Affoltern die Gründungsversammlung statt. Man entschied sich für den Kauf eines Areals gegenüber der stillgelegten Bierbrauerei Winkelmann sowie für den Bau einer Mosterei. Bereits im Juni 1912 nahm die Mosterei ihren Betrieb auf und produzierte zunächst vergorenen Most und Kernobstbrand.
Krisenjahre und Neuanfang
Der Start war holprig: Knappe Finanzierung, eigene Trotten der Bauern, was die Konkurrenz verschärfte, und häu-fig wechselnde Geschäftsleitungen erschwerten die Stabilität. Der Erste Weltkrieg stoppte den Export fast vollständig. Nach einer Neustrukturierung firmierte die Genossenschaft als «Obstverwertungs-Genossenschaft Affoltern» – kurz OVA.
Mit dem Alkoholgesetz von 1932 rückte die gärungslose Obstverwertung in den Mittelpunkt. Die OVA lancierte den Süssmost «OVA-Apfelsaft» und begann ab 1938 mit der Produktion von Obstsaftkonzentraten – Produkten, die in den 1950er-Jahren international erfolgreich wurden. Gleichzeitig etablierte sich die Produktion von alkoholfreiem Traubensaft, der bald fester Bestandteil des Sortiments wurde.
Blütezeit und Innovationen
Die Kriegsjahre brachten eine unerwartet hohe Nachfrage nach natürlichen Produkten. Das Militär war ein zuverlässiger Abnehmer. Nach dem Krieg flaute der Bedarf an Konzentraten allerdings ab, und die OVA erweiterte ihr Sortiment um Markengetränke, neue Essigsorten und ab 1953 um den ersten naturtrüben Apfelsaft, den «OVA Urtrüeb». Besonders beliebt bei den Kindern war der «Giraffenmost» – ein Süssmost mit Orangenkonzentrat, dessen Etikette eine Giraffe zeigte.
Da der Betrieb weit über die Verwertung von Obst hinausging, passte die OVA 1956 ihre Statuten an und nannte sich fortan «OVA Gesellschaft für OVA-Produkte». Das Unternehmen setzte als erster Schweizer Betrieb auf eine technisch hoch entwickelte Apfelaromagewinnung und brachte neue Getränke wie den aus Schwarzen Johannisbeeren hergestellten Gesundheitsdrink «Cassinette» auf den Markt.
1962 wagte die OVA sogar einen Abstecher in die Bierproduktion: Das alkoholfreie «Malti» war zunächst konkurrenzlos, verschwand jedoch vom Markt, als ausländische Brauereien ähnliche Produkte einführten.
Exportboom und ökonomischer Erfolg
Über viele Jahre hinweg gehörte die Schweiz zu den Ländern mit dem höchsten Obstsaftkonsum. In Jahren mit besonders grossen Ernten exportierte die OVA Tausende Tonnen Obstsaftkonzentrat nach ganz Europa sowie nach Nord- und Südamerika, Afrika und in arabische Staaten. Die Konzentrate wurden in Aluminiumfässern über den Basler Rheinhafen verschifft. Neben Konzentraten fanden auch Essig, Traubensaft, Apfelaroma und sogar Tafelobst internationale Abnehmer. In der Schweiz erfolgte der Vertrieb über rund 250 Depotstellen und die Grossverteiler. Massgeblich geprägt wurde diese erfolgreiche Ära von Direktor Jean Zwahlen, der die OVA von 1952 bis 1982 leitete. Seine Innovationskraft, sein Gespür für Trends und seine Werbekampagnen machten die OVA weit über das Säuliamt hinaus bekannt. Als er 1982 zurücktrat, hinterliess er ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen mit hohen Reserven.
Langer Abschied und plötzliches Ende
1987 feierte das Unternehmen sein 75-Jahre-Jubiläum. Ein Jahr später verarbeitete die Mosterei über 5000 Tonnen Obst – eine der grössten Ernten ihrer Geschichte. Rund 50 Mitarbeitende arbeiteten in Zwölf-Stunden-Schichten. Doch während die Produktion Rekorde schrieb, stagnierte der Süssmostabsatz. Neue Getränketrends und die Kon-kurrenz machten den Strukturwandel spürbar. Trotz Versuchen, auf Fruchtsaft- und Mineralwasserprodukte umzusteigen, konnte die OVA ihre Schwierigkeiten nicht überwinden.
Die Nachricht von der endgültigen Schliessung im Februar 2001 kam dennoch überraschend. «Für die OVA reichte die eigene Kraft nicht mehr aus, die Schwierigkeiten zu überwinden», sagte der letzte Betriebsleiter Willi Wohlwend. Die Genossenschaft geriet in die Nachlassstundung, das traditionelle Areal wurde später zu einem modernen Wohn- und Pflegezentrum umgebaut. Geblieben sind Affoltern nur die Äpfel im Gemeindewappen – und die Erinnerung an eine Mosterei, die Generationen von Menschen nicht nur in der Region begleitet hat.
Über viele Jahrzehnte prägten Industriebetriebe den Bezirk, ehe sie verschwanden und Neuem Platz machten. In dieser Serie stellt der «Anzeiger» in loser Folge einige dieser Betriebe vor. (red)










