Die Unermüdliche
Frauenrechtsaktivistin Lydia Benz-Burger verbrachte ihre letzten Lebensjahre in Affoltern

Die Geschichte von Lydia Benz-Burger sei noch nicht geschrieben, betonte die Historikerin Bettina Stehli anlässlich der Eröffnung der Ausstellung «50 Jahre Frauenstimmrecht in Zürich. Was wollt ihr denn noch?» im Zürcher Stadthaus. Sie erinnerte daran, dass Benz-Burger zu den Frauen gehörte, die die Schweiz nachhaltig verändert haben.
Kindheit mit klaren Zielen
Geboren am 26. September 1919 in Freienwil bei Baden und heimatberechtigt in Winterthur und Zürich, wuchs Lydia Benz-Burger mit neun Geschwistern in einem Umfeld auf, das Disziplin, aber auch den Wert von Bildung hochhielt. Ihr Vater war Bauer, Posthalter und Gemeindeschreiber. Nach einer Ausbildung zur Telefonistin entschied sie sich für das Abendgymnasium in Zürich, das sie 1945 mit der Matura abschloss. Anschliessend studierte sie Germanistik, Journalistik und Geschichte und promovierte 1953 an der Universität Zürich – damals 34 Jahre alt. Damit schuf sie die Grundlagen für ein Leben, das sie weitgehend in den Dienst von Öffentlichkeit und Politik stellte.
Kampf und das Frauenstimmrecht
Ab Ende der 1950er Jahre setzte sich Lydia Benz-Burger aktiv für die Frauenstimmrechtsbewegung ein. Sie schrieb für die Zeitschrift «Staatsbürgerin», führte die Pressekommission des Schweizerischen Verbandes für Frauenstimmrecht und sass im Vorstand des Zürcher Frauenstimmrechtsvereins. Ihr Ansatz war bürgerlich und moderat: Sie setzte auf politische Institutionen statt auf Strassenproteste. Den berühmten «Marsch nach Bern» von 1969, organisiert von Emilie Lieberherr, unterstützte sie nicht. Von 1968 bis 1971 leitete sie den Schweizerischen Verband der Akademikerinnen. In einem späteren Interview fasste sie ihre Motivation mit den Worten zusammen: «Ich machte das alles nicht, um Karriere zu machen oder mir etwas zu beweisen. Es war der Gerechtigkeitssinn, der mich trieb.»
Mit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 begann für Benz-Burger ein neues Kapitel: die aktive Politik. Schon 1970 wählten sie die Zürcher Bürgerinnen und Bürger für den sozialliberalen Landesring der Unabhängigen (LdU) in den Zürcher Gemeinderat – als eine der ersten Frauen überhaupt. Dort setzte sie sich für gleiche Chancen in Schule und Beruf ein.
1975 gründete sie eine Frauenliste für die Nationalratswahlen. «Wir betrachteten diese als Starthilfe und Übergangslösung bis zur vollen Integration der Frauen im öffentlichen Leben», erklärte sie damals. Das Programm: «mässig feministisch», aber klar auf Gleichstellung von Mann und Frau ausgerichtet. Im UNO-Jahr der Frau ging Benz-Burger noch einen Schritt weiter: Gemeinsam mit Mitstreiterinnen lancierte sie die Volksinitiative «Gleiche Rechte für Mann und Frau» und stellte sich damit gegen die Empfehlungen etablierter Frauenverbände. Obwohl die Initiative 1980 zurückgezogen wurde, übernahm das Parlament 1981 den Gegenentwurf, der die Gleichstellung von Mann und Frau in der Bundesverfassung verankerte.
Kultur, Journalismus und Bücher
Lydia Benz-Burgers Engagement beschränkte sich nicht nur auf die Politik. Zwischen 1956 und 1986 leitete sie die Schweizerische Gesellschaft für Theaterkultur, gestaltete die kulturelle Szene mit und schrieb fürs Meyers Modeblatt. Auch als Autorin machte sie sich einen Namen: 1986 veröffentlichte sie gemeinsam mit Lotti Ruckstuhl das Buch «Frauen sprengen Fesseln. Hindernislauf zum Frauenstimmrecht in der Schweiz». Anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Schweizerischen Verbandes für Frauenstimmrecht erschienen, verbindet das Werk historische Dokumentationen mit persönlichen Erfahrungen und erzählt die Geschichte aus der Sicht der Frauen.
Menschlich und entschlossen
Privat führte Lydia Benz-Burger ein erfülltes Leben: Sie heiratete den Elektrotechniker Henry Benz, bekam einen Sohn und nahm einen tibetanischen Jungen als Pflegekind auf. Die Familie gab ihr Kraft: «Eine Familie zu haben ist doch das Schönste. Es war für mich die Batterie, die mich immer wieder aufgeladen hat», sagte sie anlässlich ihres 70. Geburtstags in einem Interview. «Jede Frau sollte Mutter werden. Und jeder Mann Vater. Ein Kind ist reines Glück.»
Nach einem Hirnschlag in den Achtzigerjahren, der sie linksseitig lähmte, lebte sie im Pflegeheim Sonnenberg in Affoltern. Trotz körperlicher Einschränkungen beobachtete sie weiterhin das politische Geschehen aufmerksam und engagiert bis ins hohe Alter.
Lydia Benz-Burger starb am 21. Mai 2008 im Alter von 89 Jahren in Affoltern. Die Schweizer Frauenrechtsbewegung verlor mit ihr eine wichtige Stimme. Ihre Impulse prägen bis heute Debatten über Gleichstellung, Projekte, die an die Frauenstimmrechtsbewegung erinnern, und die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit ihren Themen. Benz-Burger gehörte zu jener Generation von Frauen, die eine der bedeutendsten gesellschaftlichen Veränderungen der Schweiz im 20. Jahrhundert möglich machten.
Zur Serie "Starke Frauen"
In dieser Serie werden in losen Abständen Frauen aus dem Bezirk Affoltern vorgestellt, die mit ihren Taten die Vergangenheit geprägt haben oder heute die Gegenwart mitgestalten. (red)