«Meine Seele ist voller Musik»

Hans Martin Ulbrich ist Musiker und auch nach der Pensionierung viel unterwegs

Hans Martin Ulbrich geniesst von seinem kleinen Balkon den schönen Blick in die Berge. (Bild Marianne Voss)
Hans Martin Ulbrich geniesst von seinem kleinen Balkon den schönen Blick in die Berge. (Bild Marianne Voss)

Das Leben in Rifferswil gefällt ihm sehr. «Seit über vier Jahren wohne ich hier in einer schönen Wohnung in Pantoffeldistanz zu meiner Partnerin, die schon lange hier lebt.» Er schmunzelt, fügt aber ernst hinzu: «Meine Frau musste viel zu früh an Krebs sterben. Eigentlich wollten wir nach der Pensionierung noch gemeinsame Konzertreisen unternehmen. Sie als Organistin, ich als Oboist.» Hans Martin Ulbrich hat einen Sohn und eine bald einjährige Enkeltochter. Eine kleine Eisenbahn mit den Buchstaben ihres Namens steht schon auf dem Bücherregal für sie bereit.

Nun macht er Kaffee, zeigt dem Besuch seine Wohnung – in der unter anderen auch Bilder des Zürcher Sprayers Harald Naegeli hängen – und betont dann zu Beginn des Gesprächs: «Ich bin niemand Besonderer. Ich möchte mich in diesem Porträt als ein Irgendwer sehen.» Der Protest folgt natürlich, denn alle Menschen sind besonders. Doch zugleich, das stimmt, sind alle Menschen auch irgendwer. Auf schlichte und bescheidene Weise berichtet der weit über 80 Jahre alte Mann aus seinem bewegten Leben, das in Basel in einer Künstlerfamilie begann. Schon sein Grossvater war Sänger, die Mutter Sängerin. Zu seinen Kindererinnerungen gehört die Bombardierung von Basel 1945 und auch, dass er als Fünfjähriger auf einem Spaziergang mit dem Vater bei einem Bahnübergang den Pfiff eines Zuges hörte. «Das ist ein Fis», habe er gesagt. Und das stimmte. Somit war klar, dass er über das absolute Musikgehör verfügt.

41 Jahre im Tonhalle-Orchester

Er besuchte das Gymnasium, konnte aber keine Matur machen, da er als Teenager viele Monate im Spital lag und somit den schulischen Anschluss verlor. Doch er ging auf die Musikhochschule in Basel. «Zuerst spielte ich Klavier. Beim Sport brach ich ein Fingergelenk, und mein verhasster Klavierlehrer schickte mich weg. Darüber war ich froh.» Er lacht. «Die Oboe war eine gute Alternative.» Er absolvierte das Orchesterdiplom und spielte schon als 17-Jähriger im Orchester des Basler Stadttheaters. «Und am Sonntagnachmittag war ich im Fernsehstudio in Zürich. Da wurde immer live klassische Musik gesendet.»

Nach der RS ging er nach Paris, wo er sich am Conservatoire National Supérieur de Musique weiterbildete und als Musiker tätig war. 1963 kam er nach Zürich zur Tonhalle. Während 41 Jahren blieb er dem Orchester treu. «In meinem Leben bin ich in fast 4000 Konzerten aufgetreten.» Was bedeutet ihm Musik? «Meine Seele, die ist voller Musik. Die Musik spielt bis heute eine entscheidende Rolle in meinem Leben.»

Hans Martin Ulbrich wohnte mit seiner Familie viele Jahre in Rüschlikon, er war aber auch häufig im Ausland unterwegs auf Tournee. «Ich kam weltweit herum, in Japan, den USA, Lateinamerika und ganz Europa, das war spannend. In fünf Ländern erteilte ich Oboenkurse für Studierende.»

Die Festspiele in Luzern waren während vieler Jahre ein wichtiger Termin in seiner Agenda. «Ich stellte jeweils das Festspielorchester zusammen und gab dafür gerne meine Sommerferien auf.»

Musikeranekdoten in zwei Bänden

Ab und zu musiziert Hans Martin Ulbrich noch mit seiner Oboe. Humorvoll meint er: «In einem gewissen Alter muss man sich Ziele setzen, doch manchmal kommen diese von selber auf mich zu.» Damit meint er Auftritte mit dem Trio Poetico, in dem er zusammen mit einem Klarinettisten und einem Fagottisten spielt. Ein besonderer Anlass war für ihn ein Auftritt, als Harald Naegeli den Kunstpreis der Stadt Zürich erhielt. «Wir umrahmten die Ehrung, und später wurde mir im Film über ihn eine kleine Rolle zugeteilt.»

Nebst der Musik ist Hans Martin Ulbrich auch Autor. «Ja, das Schreiben ist seit vielen Jahren mein zweites Standbein.» Er sammelte über Jahrzehnte Musikeranekdoten, die inzwischen in zwei Bändchen im Reclam-Verlag erschienen sind und sich hoher Auflagen erfreuen. «Sie sind eine humorvolle und zugleich besinnliche Gute-Nacht-Lektüre.» Kürzlich habe er einen Gedichtband sowie einige Kurzgeschichten geschrieben. «Einfach so, nur für mich.»

Er habe früher auch viele Briefkontakte gepflegt – als man noch Briefe schrieb. «Ich hatte Briefkontakt mit Hermann Hesse. Diese Schriften liegen heute in einem Archiv.» Auch mit den Autoren Lisa Tetzner und Kurt Held stand er in Kontakt. «Und eine ganz besondere Persönlichkeit, die ich als Knabe selber noch kennenlernen konnte, ist Albert Schweitzer, der Arzt, Musiker, Theologe und Philosoph. Ich bewundere seine Lebenshaltung bis heute.»

Hans Martin Ulbrich ist gerne unterwegs, zum Beispiel für den Besuch von Kunstausstellungen. Er schwärmt: «Ich liebe Malerei, das ist für mich wie Nahrungsaufnahme.» Er halte sich grundsätzlich gerne in Bewegung, auch in der Natur oder im Dorf. «Hier begegnet man sich auf Augenhöhe, das ist schön. Ich freue mich, inzwischen viele Menschen in Rifferswil zu kennen.»

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